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Serafina

It´s me!
*********ld63 Frau
8.132 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Serafina
„Komm, Bernadette, steig auf! Wir müssen uns beeilen!“
Serafina nimmt ihre kleine Schwester huckepack, hüpft und springt mit ihr die letzten Meter bis zum Kindergarten. Die Kleine gluckst und quietscht vor Vergnügen. Vor dem Eingang setzt sie sie ab und wartet, bis eine der Erzieherinnen Bernadette in Empfang genommen und die Tür hinter ihnen geschlossen hat. Serafina winkt zum Abschied und macht sich auf den Weg zurück, der sie an der Bäckerei Ost vorbei führt. Dort gibt es die besten Zimtschnecken der Stadt. Mit einem Becher heißer Schokolade lässt sie sich auf den Stufen des Einkaufszentrums nieder und sieht in den morgendlichen Himmel. Soeben geht unter schweren, dunklen Regenwolken die Sonne auf, taucht einen schmalen Streifen am Horizont sukzessiv in ein leuchtendes Farbenspiel aus Rosa und Orange. Wie ein ganzes Meer von Rosenblüten.

Ein großer Mittelklassewagen ist vorgefahren, aus dem ein Paar mittleren Alters entsteigt. Seite an Seite gehen sie auf den Eingang des Supermarktes zu, der hochgewachsene Mann im eleganten Anzug und die Frau im hellen Kamelhaarmantel. Sie unterhalten sich, doch es ist offensichtlich die Frau, die den Ton angibt. Serafina beobachtet, wie sie die Hand ihres Ehemanns abschüttelt, der mit beschwichtigender Geste nach ihrem Arm greifen will. Die beiden streiten sich jetzt, die Stimme der Frau wird immer lauter. Sie lässt ihren Mann stehen und stürmt vorwärts in den Laden. Eine grellrote Aura umgibt sie wie ein wütender, feuerspeiender Drachen, der soeben die friedliche Erdstratosphäre durchbrochen hat. Und alles in Schutt und Asche legen wird, was sich ihm in den Weg stellt. Der Ehemann kommt ihr langsam nach, mit resigniertem Gesichtsausdruck und hängenden Schultern.
Serafina schüttelt den Kopf, um die Bilder loszuwerden, und nippt an dem süßen Kakao. Sie muss sich jetzt konzentrieren, sie braucht einen Plan. Ihre Mutter schläft meist bis 16 Uhr, und geht um 18 Uhr schon wieder los zu ihrer nächsten Nachtschicht. Bernadette kann heute nur bis 12 Uhr in der Kita bleiben, dieses Zeitfenster muss sie nutzen. In der Schule wird es für sie erst Ärger geben, wenn Serafina auch morgen nicht auftaucht, das weiß sie aus Erfahrung. Soweit also alles cool.

Das Bilderbuchpaar verlässt zusammen das Einkaufszentrum. Eisiges Schweigen hüllt sie ein wie ein Schatten, der sie isoliert und zugleich aneinander kettet. Auf der Treppe bleibt die Frau stehen und dreht sich zu dem schmächtigen Mädchen um, das auf den Stufen sitzt. Mustert sie von Kopf bis Fuß, die Dreadlocks und den verblichenen Parka, die dünnen Beine in den zerlöcherten Jeans, die abgetretenen Boots. Serafina schaut auf in das dezent geschminkte Gesicht, das von sorgfältig frisierten Wellen umrahmt wird.
In diesem Moment springt sie der scharfe Schmerz der Frau an, mit fast betäubender Intensität. Serafina wird in einen Strudel von Emotionen gezogen. Dunkle Räume öffnen sich, künden von Schmerz und Lust. Tiefe, unerfüllte Sehnsucht nach dem Einen, dem ihr Herz gehört. Der sie aushöhlt wie ein Vampir, von dem sie abhängig ist wie ein Junkie nach seinem Stoff. Serafina hält dem stand, lässt sie nicht los. Die Augen der Frau weiten sich, dann unterbricht sie abrupt den Blickkontakt. Greift blindlings in die Tasche ihres Kamelhaarmantels und wirft eine Münze in Serafinas leeren Becher, der noch immer vor ihr auf dem Boden steht. Ein letzter, unsicherer Blick, bevor sie sich umdreht und ihrem Mann zum Auto folgt. Serafina sieht ihnen nach. Sie haben anscheinend alles, was man sich nur wünschen kann – und haben doch sich und einander verloren.

Serafina streckt ihre Beine. Die Kälte der Steintreppe dringt durch ihre Jeans, ihr Po fühlt sich schon ganz taub an. Sie rappelt sich hoch, geht in Gedanken ihre Einkaufsliste durch. Am Haupteingang stößt sie mit einem Mann in Postuniform zusammen, der gerade seinen Einkaufswagen zurück schieben will. Der Postler flucht und packt sie grob am Arm: „Magnifique und Kruzifix! Mädchen, kannst du nicht aufpassen?!“ Sein Atem riecht nach Alkohol, nach mindestens drei Gläsern Weizenbier, die er am Abend zuvor getrunken haben muss. Sein schwammiges Gesicht nähert sich dem ihren, bis sie die verblasste, lange Narbe über seiner rechten Augenbraue erkennen kann. Aus seinen glasigen Augen springt sie ein Strom Bilder an: Frauen, die ihre riesigen, runden Brüste darbieten. Geöffnete, grell geschminkte Lippen in seltsam glatten Gesichtern. Gurrutales Stöhnen in engen Kabinen. Serafina weicht zurück, lässt die Bilder an sich abprallen, schleudert sie mit Wucht zurück. Der Mann von der Post ist blass geworden, in seinem Gesicht mischten sich Ungläubigkeit und Wut. Sie reißt sich los und flüchtet in den Supermarkt.

Früher hat sie bei solchen Gelegenheiten gedacht, sie würde halluzinieren. Und natürlich auch, dass mit ihr etwas ganz und gar nicht stimmen kann. Mit der Zeit hat sie sich damit abgefunden, immer wieder unfreiwillige Zeugin der inneren Filme anderer Menschen zu sein. Sie kann es nicht abstellen. Eigentlich will sie einfach nur normal sein. Will nichts von all dem hören und sehen, will nicht wissen, wie es um die anderen bestellt ist.
Sie hütet diese Gabe wie ein Geheimnis. Wer würde sie ernst nehmen, wer würde ihr glauben? Womöglich würde ihre Mutter sie zum Psychiater schleppen. Das würde ihr gerade noch fehlen. Mal ganz abgesehen von dem makrozellulären Ärger, den sie sich dadurch einhandeln würde. Serafina spricht mit niemandem darüber, nicht einmal mit Julian. Er ist der einzige in ihrer Klasse, dessen Gesellschaft sie erträgt, ja sogar schätzt. Bei ihm kann sie sich entspannen, er fordert nichts und bedrängt sie nicht. Julian behält seine Filme für sich. Nichts dringt zu ihr durch.

Es war einmal ein Mädchen, deren Augen waren wie Spiegel, blank und von unbestimmbarer Farbe. Sie reflektierten das Innere eines jeden Menschen, der das Mädchen ansah. Die meisten von ihnen wurden jedoch wütend und bezichtigten das Mädchen der schlechten Eigenschaften, die sie an sich selbst und an anderen am meisten hassten. Diese Gabe war für das Mädchen mehr Fluch denn Segen, denn die Menschen sahen in ihren Augen, was sie am wenigsten akzeptieren konnten: die Wahrheit über sich selbst.

*blume*

Inspiriert wurde diese Geschichte durch die aktuellen Worte des Geschichtenspiels der Kurzgeschichtengruppe: Magnifique – Ost – Rose – huckepack – Po – Stratosphäre – sukzessiv – makrozellulär.
so schön, jetzt kann ich dir auch dazu ein paar Zeilen hier rein geben
*spitze**bravo**zugabe*

ich bin mir ganz sicher, es wird dazu weiteres von Serafina zu lesen geben
****ba Frau
3.633 Beiträge
Sehr "einfangende" Erzählung, herzlichen Dank liebe Into *herz2*
Ich saß grade unter anderem auf den Stufen vor einem Einkaufzentum und hatte eine heiße Schokolade in den Händen.

Und das mit dem spiegeln - das tun wir wohl alle, eine Jede auf ihre Art ... ist es wohl leichter oder schwerer zu ertragen, wenn man dabei nicht die Bilder des Anderen empfängt?
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